Es war einmal ein armer, verzweifelter Mensch, der allen Mut und alle Freude verloren hatte und nicht wusste, dass jeder Tag ein neues Leben und jedes Erwachen eine kleine Geburt ist.

In seinem Wortschatz gab es keine Zuversicht und keine Zuneigung, nur Zorn und Zweifel, weil irgendjemand vor langer Zeit genau diese Seiten aus seinem Wörterbuch herausgerissen hatte, als er noch bei Widerwillen und Wichtigtuerei festhing. Daher fehlte ihm auch die Erfahrung von Zutrauen, das er weder in sich selbst noch in die Welt um sich herum hatte.

Und so kam es, dass er eines Tages ein wunderschönes Fahrrad entdeckte, das vor einem kunterbunten Haus mit einem verwunschenen Garten mitten an einer viel befahrenen Straße stand, mit einem Schloss im Fahrradkorb, in dem der Schlüssel steckte, und einem Zettel am Lenker, auf dem zu lesen war:

Ich bin ein Leihfahrrad.

In seiner Verzweiflung sah er nicht, dass dieses Fahrrad vielen Menschen gute Dienste leisten wollte, dass der größte Wunsch der Eigentümerin darin bestand, den Nachbarn und Vorübergehenden eine Freude zu bereiten, ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und Hoffnung zu schenken. In seinem Herzen gab es nur Gefühle wie Unmut, in seinem Kopf nur Begriffe wie Ungerechtigkeit. Also nahm er das Fahrrad an sich, heimlich, wie ein Dieb in der Nacht, und beschloss, es für sich zu behalten oder gegen etwas Wertvolleres einzutauschen.

Am Morgen sah die Eigentümerin, dass das Fahrrad nicht mehr an seinem Platz stand, und freute sich, dass endlich, nach Monaten des Wartens und der Vorfreude, ein Mensch die Chance genutzt hatte und das Fahrrad nun unterwegs war, um seinen Zweck zu erfüllen.

Sie saß oft am Fenster und wartete gespannt darauf zu sehen, wer dieser Mensch war. Sie dachte an die nette Mutter mit dem Kinderwagen, die vor Kurzem geklingelt hatte, um zu fragen, ob das Fahrrad tatsächlich zu leihen wäre, oder an die Nachbarin, deren Tochter es für den Weg zur Arbeit nehmen wollte. Aber so sehr sie auch Ausschau hielt, kam das Fahrrad doch nicht wieder zurück.

Zuerst war sie traurig, dass jemand ihr Vertrauen missbraucht hatte, aber dann begann sie zu begreifen, dass dieser Mensch so verzweifelt gewesen war, dass auch bei ihm das Fahrrad seinen Zweck erfüllt hatte: Freude zu bereiten, ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und Hoffnung zu schenken. Und bei dieser Erkenntnis breitete sich ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht aus, und sie beschloss, für immer dieses Mädchen zu bleiben, das so sehr an das Gute im Menschen glaubt, dass es ein Fahrrad samt Schloss und Schlüssel an einer viel befahrenen Straße vor der Tür stehen lässt.

Und wer weiß – vielleicht stellt bald jemand ein anderes Fahrrad dorthin und klingelt, um das Mädchen nach dem passenden Zettel zu fragen, den er dann gemeinsam mit ihr am Lenker befestigt. Vielleicht stehen auch demnächst vor anderen Häusern Fahrräder zum Ausleihen. Oder vielleicht bringt der verzweifelte Mensch eine Blume vorbei, heimlich, mitten in der Nacht.

Ich mag am liebsten Sonnenblumen.