Surfer sind grundsätzlich in ihrer Ethik daran interessiert, eine natürliche Destination vorzufinden. Die Begegnung und Auseinandersetzung mit der Natur sind hier essentiell. Das Warten auf die Wellen, der Respekt vor den lokalen Begebenheiten und somit auch eine, im positiven Sinne, demütige Haltung zeichnen sie ursprünglich, wie auch Bergsteiger, aus.

Offener Brief – Anmerkungen zum Projekt Surfpark 19.10.2021

von Britta Brüning

Grundsätzlich bin ich sehr dafür, Menschen, die für eine Sache „brennen“, gesellschaftspolitisch einen großen Freiraum zu lassen und sie auch zu unterstützen. Trotzdem ist es wichtig zu hinterfragen, wo der Grund unse- res Wollens wirklich liegt.

Der Wunsch nach einem Surfpark entstammt nicht der Bevölkerung, sondern wird von außen herbeigeführt. Auch ist ein solches Projekt weder nachhaltig, noch trägt es zu einer fairen und sozialen Stadtentwicklung bei, wenn es nicht von den meisten Menschen gewollt, unterstützt und getragen, sondern nur von einigen wenigen durchgesetzt wird. Das Vorhaben wurde noch nicht breit öffentlich diskutiert. Es könnte sein, dass die Bürger es mehrheitlich nicht gewohnt sind, wirklich gehört zu werden und sich konstruktiv einbringen zu können. Wir wissen aber auch, dass es Ausnahmen gibt und auch deswegen gehört dieses Projekt in die öffentliche Diskus- sion. Würden die gewählten Verantwortlichen die Bürger einladen, sich dazu zu äußern, dann wüssten wir, ob das Projekt wirklich gewollt ist und getragen werden würde. Das wäre eine echte demokratische Vorgehensweise und für die weitere Stadtentwicklung auch nachhaltig.

Wenn man das Projekt „Surfpark“ näher betrachtet, so ergeben sich Zusammenhänge, die zeigen, dass es in höchstem Maße fragwürdig und in der Grundtendenz nicht stimmig ist:

Das Surfen an sich ist eine starke Metapher für die balancierte Interaktion von Mensch und Natur. Aus ihrer Historie hergeleitet, sind Surfer grundsätzlich in ihrer Ethik daran interessiert, eine natürliche Destina- tion vorzufinden. Die Begegnung und Auseinandersetzung mit der Natur sind hier essentiell. Das Warten auf die Wellen, der Respekt vor den lokalen Begebenheiten und somit auch eine, im positiven Sinne, demütige Haltung zeichnen sie ursprünglich, wie auch Bergsteiger, aus. Ein künstlicher Ort konterkariert dies. Er durchbricht diese Balance, indem das Surfen dort stattfindet, wo natürliche Prozesse künstlich nachgebildet werden. Wir halten das bislang für fortschrittlich. Die Logik, dass ein idealer Ort zum Surfen ein künstlicher sein soll, steht auf tönernen Füßen. Das dann weiterzuführen und auf den sportlichen Wettbewerb, in der Form von idealen Trainingsbedingungen, zu reduzieren, erscheint mir absurd. Wäre das Surfen meine Leidenschaft, so würde ich dort leben wo die Wellen sind oder mir ganz genau überlegen, wie ich dorthin käme. Wir müssen keinesfalls alles überall möglich machen. Kurze Wege sind somit ebenfalls kein tragendes Argument. Um das Projekt wirk- lich nachhaltig zu gestalten, müsste man zudem jede verbrauchte Ressource in die Betrachtung mit einbeziehen und zwar nicht nur lokal. Das sollte heute für alle Vorhaben gelten. Diesen Umstand blenden wir gerne aus. Wir wissen doch mittlerweile alle, dass wir an einem Punkt angelangt sind, wo wir aufhören müssen, derart verschwenderisch und respektlos zu agieren. So ist z.B. der Kreidesee in Hemmoor zwar ein konstruierter, also nicht explizit für die Taucher geschaffener Ort, dennoch die logische Nachnutzung einer vorhandenen, histo- risch gegründeten, Gegebenheit. Das ist ein Unterschied zu einem neu erschaffenen Surfpark. Der Wassersport in Stade ergibt sich aus den natürlichen Flussläufen und sollte sich genau dort einfügen. Zudem scheint der Bau eines Surfparks eine Art Modeerscheinung zu sein, weil dieser auch in anderen Städten derzeit stattfin- det. Innovativ ist das Projekt also auch nicht. Erinnern wir uns an die Tennishallen, die überall im Lande Ende der Achtziger entstanden sind. Wir wissen wohl, was daraus geworden ist.

Indem wir eine weitere künstliche Welt schaffen, vergleichbar in der Grundidee mit dem Snow-Dome in Bispin- gen, verlieren wir weiterhin unseren Kontakt zu natürlichen Gegebenheiten. Wir erschaffen Welten, die ver- meintlich innovativ sind und überlagern damit die natürliche Attraktivität der Umgebung. Der Surfpark würde für das Areal einen massiven Einschnitt bedeuten, obwohl der tatsächliche Flächenverbrauch relativ gering zu sein scheint im Verhältnis zu der Gesamtfläche, die dort ausgewiesen ist. Die Landschaft wird zerschnitten. Auch das ist eine Tatsache, deren Folgen wir noch nicht genügend berücksichtigen. Noch ist es ein dezent kul- tivierter und ruhiger Ort. Er bildet eine Art Ausgleichsraum zu dem nahe gelegenen CFK-Valley und dem Feerner Moor. Dieses Gefüge zu stören, nur um ein weiteres „Highlight“ zu schaffen, ist meines Erachtens kein margi- naler Faktor, sondern sehr gravierend. Wenn man das Gebiet allerdings lediglich abstrakt als Gewerbefläche betrachtet oder gar als weißer Fleck auf der Landkarte, der sich hervorragend für die Umsetzung des eigenen Projektes eignet, wird man zu anderen Schlüssen kommen. Wieder anders wird derjenige urteilen, der hier den wichtigen Futterplatz der Kraniche sieht oder bislang genau hier Ruhe und Erholung gefunden hat. Es ist eine Frage der Perspektive.

Der Begriff der Transformation bezeichnet einen Systemwandel. Hier fällt auf, dass dieser viel tiefer gehen muss, als lediglich das Bestehende oder herkömmliche Annahmen über Entwicklung mit ökologisch anmutenden Fea- tures zu bestücken. Das wäre das Gegenteil, nämlich: konservativ. Wenn wir bei der Realisierung eines aufge- setzten Projektes lediglich in Teilbereichen ökologisch und nachhaltig agieren, so bleibt doch die Tatsache erhalten, dass dieses Projekt es in der Gänze niemals sein kann, weil es das im Grunde nicht ist, sondern lediglich ein Gewerbebetrieb, der auf das Freizeitvergnügen unserer Konsumgesellschaft abzielt und somit ei- nen Bereich unserer Gesellschaft füttert, den wir gerade beginnen zu hinterfragen. Es ist doch schon ein Ge- meinplatz, dass der Tourismus ein Faktor ist, der sich eben nicht qualitativ entwickeln lässt, wenn man es quantitativ angeht. Eigentlich sind Stade und Umgebung gut aufgestellt und in Teilbereichen auch schon gesät- tigt.

Ein gesundes Wachstum kann heute nicht mehr expansiv sein. Es muss vielmehr in einer feinmaschigen Art die bestehenden Strukturen dahingehend verändern, dass wir wirklich eine lebensfähige und lebenswerte Zukunft haben. Es bedarf anderer Stellschrauben, um den Wagen nachhaltig zu lenken. Warum ist der ÖPNV nicht völlig kostenfrei für die Menschen? Warum versuchen wir es nicht mal ohne Tempolimits, um zu sehen, dass es auch mit Selbstverantwortung geht? Brauchen wir wirklich so viele Supermärkte oder Neubaugebiete? Warum agieren wir politisch noch auf einer Gebots- und Verbotsebene, anstatt etwas respektvoll miteinander zu entwickeln? Schaffen wir es, dorthin zu kommen, wo sich Eigeninteressen mit Gesamtinteressen decken? Warum glauben wir, dass die Menschen vorgefertigte Konzepte bräuchten, um ihre Freizeit zu gestalten? Bräuchten wir nicht eher mehr Freiräume? Warum fragt die Politik nicht beim Bürger nach, was dieser möchte? Weil wir eher bereit sind, zu kämpfen, um uns durchzusetzen, anstatt uns wirklich einzulassen? Warum kultivieren wir Gedanken von Aus- grenzung, Gegnerschaft und Konkurrenz? Einer zukunftsfähigen Vielfalt ist meines Erachtens nicht gedient, wenn wir weiterhin nach herkömmlichen Mustern agieren und all unser Tun dem Konsumgedanken, der Ökonomie und der These, dass wir in erster Linie für unsere egoistischen Wünsche verantwortlich sind, unterstellen. Wir sollten vielmehr dahin kommen, die bestehenden Strukturen, unser Denken und unsere Kriterien über die Welt grundlegend zu hinterfragen, bevor wir etwas tun. Da wir aber nichts anderes kennen als das Herkömmliche und so verstrickt sind, in unsere selbsterschaffenen Strukturen, gestaltet sich das schwierig.

Auf dem Areal soll ein Natur-Spielplatz angelegt werden. Das ist an sich ein guter Gedanke. Wenn ich diesen Aspekt weiterdenke, so fällt mir auf, dass wir häufig nicht mehr in die natürliche Intelligenz von Kindern vertrauen und ihnen in fast allen Lebensbereichen vorgefertigte Konzepte anbieten, so dass ihre naturgegebene Kreativität verkümmert. Wenn diese Menschen dann erwachsen sind, denken sie, sie bräuchten fremderdachte An- gebote, um sich auszuleben und sind nicht mehr in der Lage, selbst etwas zu (er)finden. Diejenigen, die es können und auch tun, Konzepte zu realisieren und in die Welt zu geben, hinterfragen sich oftmals nicht in der Tiefe, ob es dem Ganzen wirklich dient. Und somit folgen wir mehrheitlich Trends und erfüllen Vorgaben, an- statt selbst kreativ zu sein. Und das beginnt mit unserem Denken. Vielleicht sollten wir eher darüber nach- denken, die städtischen Strukturen so umzuformen, dass Kinder sich gefahrlos überall bewegen, um somit ihre Spielplätze selbst bestimmen zu können und es auch dürfen.

Der Surfpark richtet sich nicht in erster Linie an die ansässige Bevölkerung und die hiesigen Wassersportler. Sie haben ihn nicht gewünscht und ein Segler surft nicht unbedingt. Das Projekt entsteht aus einer Motivation des Eigeninteresses. Dass es Menschen gibt, die das Angebot nutzen würden, steht außer Frage. Die Verantwort- lichkeit der Vorangehenden liegt aber nicht darin, ihre Kraft zu nutzen, um für sich etwas zu schaffen, und dann zu erklären, es wäre für andere, sondern vorerst darin, ihre Idee, und somit sich selbst, genau zu prü- fen und nachgelagert, welchen Weg sie nehmen. Etwas zu erschaffen, welches vor allem den Interessen der Ini- tiatoren dient und Bedürfnisse weckt, die vorher nicht da waren, ist allgegenwärtig; dennoch äußerst fragwür- dig. Zweifelsohne ist nicht jedes Konzept ein Korsett und Impulse von außen können durchaus bereichern. Den- noch sollten wir auch hier genau hinschauen, ob das tatsächlich ein zeitgemäßer Beitrag zur Diversität ist oder der Preis zu hoch, um lediglich eine Randgruppe zu befriedigen.

Wenn wir die Gesamtlage auf der Erde mit einbeziehen, so können wir zu der Konklusion kommen, dass ein Ein- zelner nichts bewirken kann und so weitermachen wie bisher, indem wir das Ganze lediglich ausschmücken mit gutgemeinten Features oder in der Gegnerschaft verharren. Der Kern aber ist, um wieder auf das Projekt Surf- park zurückzukommen, dass wir unserer Hybris nur nahekommen können, wenn wir uns erlauben würden, überall ganz genau hinzusehen.

Möglicherweise wird der Surfpark gebaut werden und wahrscheinlich wird er, aufgrund der professionellen In- szenierung, auch rentabel sein. Wegweisend wird er nie sein können.

Wir können unserem Alltag nicht mehr entfliehen. Wir müssen uns unseren Lebensumständen stellen und uns fra- gen, ob wir weiterhin der Natur, welche auch die unsere ist, künstliche Welten aufzwingen wollen, oder, ob wir endlich anfangen, mit ihr zu leben. Wie das genau aussehen wird, möge jeder selbst herausfinden, der sich auf absolutes Neuland einlassen möchte. Mir bleibt heute lediglich die Möglichkeit eines gedanklichen Austau- sches, der vielleicht ein Anfang ist.