- mit dem Fokus auf Milchviehbetriebe

Von Udo Paschedag

Vors. der Arbeitsgemeinschaft Umweltplanung Niederelbe (AUN)

13. April 2019

A Situation in Deutschland

1. Im Agrarbericht 2011 stellte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft dar, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland zuletzt jährlich um 2,2 Prozent sank.

Rund 1,1 Millionen Menschen arbeiteten demnach noch in der Landwirtschaft. Die Durchschnittsfläche der Betriebe stieg in dem Untersuchungszeitraum 2007 bis 2010 von 52 auf 56 Hektar an. 55 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wurde in dieser Zeit von Großbetrieben, die mehr als 100 Hektar Landwirtschaftsfläche umfassen, bewirtschaftet.

2. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ging die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland von 1.017.697 im Jahr 1971 über 448.936 im Jahr 2001 auf 288.200 im Jahr 2012 und auf 266700 im Jahr 2018 zurück. Besonders die Zahl der kleinen Höfe ging drastisch zurück. Fehlende Hofnachfolgen spielen dabei eine große Rolle. Die Zahl der Betriebe mit mindestens 100 ha landwirtschaftlicher Fläche nahm zwischen 2007 und 2013 um rund 3400 auf rund 35.200 zu.

B Situation im Landkreis Stade

In 2015/16 existierten 946 Haupterwerbsbetriebe, davon waren 312 Obstbaubetriebe. Es wurden in diesem Zeitraum ca. 45000 Milchkühe, 110.00 Rinder und 167.799 Schweine gehalten.

Festzustellen ist, dass insbesondere seit 1980 die Zahl der Tierhalter stark zurückgegangen dafür aber die Anzahl der Tiere pro Betrieb deutlich angestiegen ist. Waren es bei den Michviehbetrieben im Jahr 1980 noch 1770 Halter mit durchschnittlich 22 Kühen (gesamt: 38940 Tiere) und einer durchschnittlichen Milchleistung vom 5600 Litern pro Jahr und Kuh so waren es 2015 nur noch 324 Halter mit durchschnittlich 139 Tieren pro Betrieb (gesamt: 45036 Tiere) und einer Milchleistung von 9000 Litern pro Kuh und Jahr. Von 79000 ha landwirtschaftlich bewirtschafteter Fläche sind 32000 ha Grünland, 39000 ha Ackerland und 16000 ha Mais, der mehrheitlich ins Kuhfutter geht.

Die durchschnittliche Verschuldung der landwirtschaftlichen Betriebe lag im o.g. Zeitraum bei ca. 400.000 €, wobei die tierhaltenden Betriebe besonders stark verschuldet sind (Quelle: Kreisbauernverband Stade).

C Die Ursachen des Höfesterbens

  • Für das Höfesterben gibt es vielerlei Gründe. Zum einen: Es fehlt der Nachwuchs. Die Kinder von Landwirten wollen vielfach nicht mehr in die Fußstapfen ihrer Eltern treten und ziehen den sicheren Beruf einer nicht-landwirtschaftlichen Existenz vor. Zudem haben es Jungbauern oftmals extrem schwer, eine Lebenspartnerin zu finden, die bereit ist, einen Bauernhof gemeinsam zu bewirtschaften.
  • Wer durch traditionell ländlich geprägte Regionen fährt, kann erkennen: Der kleine Bauernhof, er wird zu einem Auslaufmodell. Dörfliche Strukturen wandeln sich zu gesichtslosen, intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen mit mechanisierten Großbetrieben. Das ist die Folge einer seit Jahrzehnten verfehlten Agrarpolitik, die stets exportorientiert – und nicht verbraucherorientiert - auf „wachsen oder weichen“ gesetzt und dazu geführt hat, dass sich zahlreiche Familienbetriebe durch den Bau großer Ställe und die Anschaffung von großen Maschinen stark verschuldet haben und durch den Preisverfall z.B. bei der Milch den Schuldendienst kaum noch tragen können. Streng EU-reguliertes Saatgut ist für kleinere Betriebe zudem oft unerschwinglich geworden und verstärkt zusätzlich das Höfesterben genauso wie die stark angestiegenen Boden- und Pachtpreise durch Konkurrenzen zu anderen nichtlandwirtschaftlichen Investoren, wie z.B. Bodenabbau, Straßen- und Wohnungsbau und Biogas.
  • Wesentlich mit verantwortlich am Aussterben des klassischen Bauernhofs und am rapiden Höfesterben in Deutschland sind auch die Verbraucher.
    Wenn oft nur das Billigste an Milch, Fleisch und Wurst oder Obst und Gemüse aus dem Discounter den Weg in die Einkaufswagen findet und Billig-Importe aus dem Ausland den deutschen Markt überschwemmen, kann der deutsche Landwirt nur mithalten, wenn er unter größt möglicher Ausnutzung seiner Ressourcen und insbesondere des Faktors Tier (vgl. ARD-Bericht vom 20.07.2015:“Verheizt für billige Milch – Das Leiden der deutschen Turbokühe) kostensparend im großen Stil – am Ende aber ruinös - seine Landwirtschaft betreibt. Die Folgen sind Überzüchtungen, Überdüngungen und Medikamentenprofilaxe, insbesondere mit Antibiotika, sowie Verlust weiterer ökologisch wertvoller Flächen. Exporte hatten bisher die wirtschaftliche Not vieler Bauern – noch – ein wenig abgefedert, ebenso wie der Tropf der EU, an dem die deutsche Landwirtschaft hängt. Rund 52 Prozent des bäuerlichen Einkommens werden von der Europäischen Gemeinschaft aufgebracht. Ein endgültiges Höfesterben konnte damit in der Vergangenheit vorerst abgewendet werden. So haben Landwirte aus Niedersachsen aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) für das Antragsjahr 2017 auf der Grundlage von 43559 Anträgen Zahlungen von insgesamt 775.037.684,60 € erhalten (davon allein über die Basisprämie 552.423.487,74 €). Hinzu kam die niedersächsische Agrarförderung und die Förderung aus dem ELER-Fonds (Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums) in Höhe von insgesamt ca. 220.000.000 € (Quelle: ML Niedersachsen).
  • Mit dem Einbruch der Exportmärkte in Russland und China (von Januar bis Mai 2015 war der dortige Markt für Milchpulver um 54 % eingebrochen) wird es zunehmend schwieriger für Familienbetriebe, so dass Insolvenzen drohen. China wird zum Selbstversorger (mittlerweile 95 %) und Indien zieht nach. Allein zwischen 2010 und 2015 wurde die Selbstversorgungsquote dort um 25 % gesteigert: „Indiens Landwirtschaft gehört (zwar) zu den ineffizientesten der Welt. Trotzdem ist das Land der größte Milchproduzent der Welt – und exportiert mehr Rindfleisch (von Wasserbüffeln) als Argentinien, Brasilien oder die USA“ (Handelsblatt vom 16.10.2016).(herangezogene Quellen: bio-bauernhof.de und Milchmarktdebatte im Dt. BT vom 15.10.2015).
  • Auch die Kritik der Bauern und Bäuerinnen der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) ist nachvollziehbar: In der Phase niedriger Milchpreise während der Milchkrise 2014 bis 2016 sei zu viel erzeugte Milch zu Pulver verarbeitet und durch die EU-Intervention vom Markt genommen worden. Die Menge betrage in der EU insgesamt 350.000 Tonnen. Dieses Pulver belaste immer noch den Milchmarkt und halte den Milchpreis niedrig. „Das Ergebnis der verfehlten Politik liegt als Milchpulver in Hallen wie die der ehemaligen Gardinenwerke (Aschendorf im Emsland)“, so Ottmar Ilchmann von der AbL. Es werde Milchpulver gelagert, dass keiner brauche oder „zu Spottpreisen in Afrika verramscht, was die dortigen Märkte ruiniert.“ Die Folge der „schrankenlosen“ Milchproduktion seien aufgegebene Höfe, weil Landwirte den Betrieb nicht mehr aufrechterhalten könnten.
    Seit dem Fall der Milchquote 2015 hätten viele Milchbauern in Deutschland und in ganz Europa ihre Milchmenge gesteigert. Sie hätten sich Hoffnung gemacht auf Exporterfolge auf dem Weltmarkt, die ihnen Politik, Molkereien und Bauernverband vorgegaukelt hätten. Aber das Milchpulver, das gerade norddeutsche Genossenschaftsmolkereien wie das Deutsche Milchkontor in ihren eigens errichteten Trockentürmen produzierten, wolle niemand kaufen, weshalb es an die EU verkauft werde.
    Diese Lagerhaltung kostet den Steuerzahler viel Geld und hilft nur den Molkereien, die ihre unverkäufliche, am Markt vorbei produzierte Ware loswerden und natürlich den Betreibern von Lagerhäusern“, so Ilchmann. Dem Steuerzahler entstünden durch die Lagerung und das jetzige Verramschen des Milchpulvers Kosten in Millionenhöhe. Zudem führe Milch-Überproduktion zu vermeidbaren Umweltbelastungen durch Intensivierung und Nährstoffbelastung. Letzteres sei gerade im Emsland brisant.

D Kollaps, Ökodiktatur oder Balance?

Perspektiven für die Landwirtschaft bis 2050 nach Prof. Radermacher

Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung/n der Universität Ulm (FAW/n) und Mitglied des Club of Rome (Vortrag vor der Landwirtschaftskammer Niedersachsen zum 12. Unternehmertag am 3. November 2011 in Oldenburg).

Die Welt im Jahr 2050

Der Vortrag beleuchtet die internationale Entwicklung vor dem Hintergrund der rasch wachsenden Weltbevölkerung und dem zunehmenden Konflikt um Ressourcen und der Problematik immer größerer Umweltbelastungen, z. B. im Ernährungs-, Energie- und Klimabereich. Die Frage einer nachhaltigen Entwicklung wird dadurch massiv erschwert. Das betrifft sowohl die ökologische Problematik als auch Fragen des sozialen Ausgleichs und der Gerechtigkeit und damit der weltethischen Orientierung. Die Frage der zukünftigen Ernährung wird adressiert, ebenso die Rolle des bäuerlichen Familienbetriebs.

Der Vortrag macht deutlich, dass sich von einer bestimmten systemtheoretischen Perspektive aus drei mögliche Entwicklungslinien für die Zukunft ableiten lassen, nämlich Kollaps, Ökodiktatur/Brasilianisierung und eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft (Balance). Kollaps bedeutet in diesem Kontext ein signifikanter Zusammenbruch der Ökosysteme mit extremen Konsequenzen wie z. B. Hungersnöten. Ökodiktatur / Brasilianisierung bedeutet demgegenüber eine massive Verarmung der weitaus meisten Menschen auf diesem Globus, auch in den heute reichen Ländern. Nur der letzte Weg, die Balance, ist mit Nachhaltigkeit vereinbar. Hierbei gilt: Nachhaltigkeit lässt sich über ein geeignetes System von Leitplanken in Verbindung mit einem tragfähigen Wohlstandsbegriff realisieren. Dabei führt Marktwirtschaft + Nachhaltigkeit zur weltweiten ökosozialen Marktwirtschaft. Das dazu korrespondierende Wachstum muss nachhaltig „grün“ sein.

Auf der Klimaseite muss dies neben der Erhöhung der technischen Effizienz und der Veränderung von Lebensstilen insbesondere auch ein Weltaufforst- und Landnutzungsrestaurationsprogramm auf 5 Mio. km2 bis zum Jahr 2050 beinhalten. Das bildet eine interessante Brücke zu den Themen Landwirtschaft und Ernährung. Dies sind zentrale Themen für die Gestaltung der Zukunft, die eng verknüpft sind mit Fragestellungen in den Bereichen Generationen- und Klimagerechtigkeit und Überwindung der Armut. Nach einem am 15.09.2015 veröffentlichten Bericht der UN könnte nämlich der weltweite Flächenverlust durch das Ausbreiten der Städte und Versiegelung von landwirtschaftlichen Flächen in den nächsten zehn Jahren zu 50 Millionen zusätzlichen Flüchtlingen führen, weil der Boden sie nicht mehr ernähren kann.

Was heißt das nun alles für die Zukunft der Landwirtschaft? Entscheidend ist die oben getroffene Feststellung, dass es 3 mögliche Zukünfte gibt: Kollaps, Brasilianisierung oder Balance. Es liegt nicht in der Macht der Landwirtschaft - und auch nicht in der Macht unserer Regierung -, eine dieser Zukünfte herbeizuführen. Die Zukunft entsteht vielmehr in einem komplexen Zusammenwirken von vielen Akteuren rund um den Globus und wir wissen deshalb nicht, wie die Zukunft sein wird. Aus Sicht der Landwirtschaft in Deutschland ist aber offensichtlich, dass eine Welt in Balance das wünschenswerte Szenario ist.

Landwirtschaft wird in einer reichen Welt in Balance enorm an Bedeutung gewinnen, weil zehn Milliarden wohlhabende Menschen zu ernähren sind, die über entsprechende Kaufkraft verfügen.

Mehr Wohlstand für mehr Menschen heißt zugleich weniger Fläche, weil Wohlstand Infrastruktur erfordert. Man wird deshalb die verbliebenen Flächen in der Landwirtschaft sehr viel besser nutzen müssen als heute,  fast schon gärtnerisch. Und der Fleischkonsum pro Kopf wird bei uns zurückgehen, auch wenn die weltweite Fleischmenge vielleicht noch wachsen wird.

Im Szenario der Brasilianisierung ist die Lösung der Probleme eine andere. Die meisten Menschen, auch in der heute reichen Welt, werden arm. Das gilt dann auch für die meisten Landwirte. Denn arme Menschen müssen ernährt werden und können nicht viel bezahlen.

Die, die für sie die Nahrung landwirtschaftlich produzieren, werden in der Regel eine entsprechende schlechte soziale Stellung haben.

Brasilianisierung läuft möglicherweise über die Verarmung des Staates, über Finanzmarktkrisen, wie wir sie derzeit erleben. Es ist nicht einfach, sich dagegen zu wehren. Auch nicht in der Demokratie. Denn den wichtigsten Einfluss haben Finanzfragen, die wesentlich über das globale Finanzsystem und die dort bestimmenden Akteure beeinflusst werden. Dies gilt zumindest so lange, wie die Regierungen der Welt in diesen Fragen nicht endlich besser kooperieren.

Es gibt eine dritte Zukunftsmöglichkeit, den Kollaps der Ökosysteme. Ein solcher Kollaps würde wahrscheinlich im „Süden“ der Welt stattfinden und Asien stärker betreffen als den Westen. Ein Kollaps wird möglicherweise eine Folge einer galoppierenden Klimakatastrophe sein. Der Kollaps wird für die betroffenen Menschen ein Desaster sein. Und er wird auch sehr unangenehme Rückwirkungen für uns haben.

In dieser unsicheren Situation gilt es gerade auch für Landwirte, sich gleichzeitig auf 3 Zukunftsszenarien einzustellen.

Ein einfaches Rezept für das eigene Handeln gibt es dabei nicht. Wie überall spielt praktische Intelligenz, Phantasie, Kreativität und das Finden von Nischen eine große Rolle für die eigene wirtschaftliche Situation.

Man operiert am besten in Sinne einer Doppelstrategie, in der man sich für richtige weltweite Verhältnisse einsetzt, aber klug und überlegt versucht, unter den Verhältnissen, wie sie sind, erfolgreich zu sein. Eine Empfehlung ist dabei, darauf zu achten, dass Größe schnell ein Problem werden kann und dass viel Fremdkapital bei ungünstiger Entwicklung bedeutet, dass man sein Eigentum verliert.

Man verfolgt als Landwirt also sinnvollerweise Strategien, in denen auch im ungünstigsten Fall auf jeden Fall die Rückzahlung von aufgenommenen Krediten möglich bleibt. Es geht ums Überleben in schwierigen Zeiten.

Mit der 3. Option, der Balance, gibt es immerhin eine Perspektive. Europa ist in dieser Hinsicht ein Vorbild für die Welt. Die Staaten in Europa sollten enger kooperieren und versuchen, von hier aus die Welt in Richtung auf Balance zu beeinflussen, wie sie der europäischen Logik entspricht.

[Publikationen u.a.:
Radermacher, F. J.: Die Zukunft unserer Welt. Navigieren in schwierigem Gelände, Edition Stifterverband, Essen, 2010

Radermacher, F. J., Beyers, B.: Welt mit Zukunft – Überleben im 21. Jahrhundert, Murmann, Verlag, Hamburg 2007; überarbeitete Neuauflage „Welt mit Zukunft – die ökosoziale Perspektive“, Hamburg, 2011

Radermacher, F. J., Riegler, J., Weiger, H.: Ökosoziale Marktwirtschaft. Historie, Programm und Perspektive eines zukunftsfähigen globalen Wirtschaftssystems. Mit einem Vorwort von Klaus Töpfer. Oekom Verlag, München, 2011

Weitere Informationen auch unter: www.faw-neu-ulm.de, senat-der-wirtschaft.de oder www.globalmarshallplan.org ]

E Persönliches Fazit:

Die Milchpreiskrise hat die Anfälligkeit unserer Milchviehbetriebe für politische Entwicklungen außerhalb der EU gezeigt. Diese Anfälligkeit wurde durch eine seit Jahrzehnten verfolgte Agrarpolitik, die im Wesentlichen auf exportorientiertes Wachstum gesetzt hat, verstärkt. Der Glaube an stetig wachsende Exportmärkte ist angesichts stark steigender Selbstversorgungsquoten in China, Russland und Indien geradezu naiv, um nicht zu sagen weltfremd. Angetrieben von diesem Glauben haben sich viele Betriebe durch Investitionen in Ställe und Maschinen hoch verschuldet und geraten angesichts des Preisverfalls in existenzielle Nöte. Kurzfristige Interventionen durch die EU, den Bund und die Länder werden diese Not zwar etwas lindern aber die strukturelle Krise nicht beseitigen und das Höfesterben letztlich nicht aufhalten können.

Denn auch wenn Krisen, wie z.B. das Russlandembargo, nach gewisser Zeit politisch beendet werden können, steht die nächste Krise bereits an – „nach der Krise ist vor der Krise“. Aus meiner Sicht haben große Betriebe mit hohem Fremdkapitaleinsatz auf Dauer keine Überlebenschance. Ihre Abhängigkeit von den Exportmärkten, den politischen Entwicklungen auch außerhalb der EU sowie der mächtigen Marktstellung von Molkereien und Handel macht sie besonders krisenanfällig. Wahrscheinlich werden diese Betriebe erst nach ihrer Insolvenz und der damit verbundenen Entschuldung wieder mit ausreichenden Gewinnen bewirtschaftet werden können. Nur werden viele bäuerliche Familien dabei auf der Strecke bleiben. Der Preisdruck hat dazu geführt, dass auf Kosten der Tiergesundheit das letzte aus den Kühen herausgeholt werden muss. Kühe mit einer Leistung von 10000 Litern Milch und mehr pro Jahr werden heute vielleicht noch 5 Jahre alt – bei einer grundsätzlichen Lebenserwartung von 20 Jahren. Jede zweite Kuh leidet unter Klauenerkrankungen. Dies ist aus meiner Sicht unverantwortlich und auch aus ethischen Gesichtspunkten nicht länger hinzunehmen.

Darüber hinaus werden Verletzungen des Tierschutzes auf landwirtschaftlichen Betrieben und in Schlachthöfen oftmals erst durch heimliche Kameraaufnahmen von Tierschutzorganisationen bekannt. Das Vertrauen der Verbraucher in die Landwirte wird zerstört und ein ganzer Berufsstand in Verruf gebracht – ein fataler Imageschaden für die Landwirte. Das hat auch der jüngste Fall in einem hiesigen Schlachtbetrieb in Düdenbüttel, Landkreis Stade, gezeigt (vgl. Stader Tageblatt vom 12.04.2019 und das Neue Buxtehuder Wochenblatt vom 13.04.2019). Die hier aufgenommen Bilder zeigen den brutalen, mitleidlosen Umgang mit den lebenden Tieren durch Angestellte des Schlachthofes und durch die beteiligten Landwirte. Sie dokumentieren das Leiden der Tiere auf erschütternde Weise. Hinzu kommt, dass offenbar auch die Kontrolle des Veterenäramtes des Landkreises Stade versagt hat.

Der Preisdruck hat auch dazu geführt, dass die betriebliche Praxis in der Landwirtschaft immer mehr natürliche Ressourcen in Anspruch nimmt und damit auch die Zukunftschancen künftiger Generationen gefährdet. So hat z.B. der landwirtschaftliche Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln erhebliche negative Auswirkungen auf die Biodiversität und beschädigt ebenfalls das Image der Landwirte in der öffentlichen Meinung. Zum Schutz der biologischen Vielfalt fordert das Bundesamt für Naturschutz (BfN) deshalb u.a. eine schnelle Beendigung und bis dahin eine maximale Verwendungsbeschränkung des Einsatzes von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln und solchen mit vergleichbarer Wirkung (vgl. Positionspapier des BfN, „Auswirkungen von Glyphosat auf die Biodiversität“, Bonn, Januar 2018).  

Der Grundsatz der Generationengerechtigkeit erfordert einen nachhaltigen Umgang mit dem Boden und dem Grundwasser. Deshalb ist die mit der Massentierhaltung und dem entsprechenden Aufbringen von Gülle verbundene gegenwärtige Überdüngung des Bodens und die Belastung des Grundwassers mit Nitrat über die in der EU geltenden Grenzwerte hinaus nicht mehr hinzunehmen. Die Pflanzen brauchen zwar Nitrat für ihr Wachstum, und der Stoff ist für den Menschen auch erst einmal ungefährlich. Durch chemische Zerfallsprozesse können daraus aber gesundheitsgefährdende Nitrite entstehen. Auch Darmbakterien wandeln Nitrat in Nitrit um. Zu viel Nitrit im Körper wiederum kann Durchblutungsstörungen verursachen, bei Säuglingen wird die Sauerstoffversorgung der Zellen geschädigt. Zudem können unter Einwirkung der Magensäure aus Nitriten krebserregende Nitrosamine werden. Wegen dieser Risiken gibt es EU-Grenzwerte: Eine Konzentration über 50 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser gilt als bedenklich (vgl. faz.net vom 21.06.2018).

Der Europäische Gerichtshof hat Deutschland jetzt wegen Verstoßes gegen EU-Recht verurteilt: Die Bundesregierung hat zu wenig gegen die Nitratbelastung des Grundwassers unternommen. Der EuGH hat in seinem Urteil ausdrücklich die Ursache benannt: Die hohen Nitratwerte sind in erster Linie Folge des großflächigen Einsatzes von Düngemitteln in der Landwirtschaft. Großindustrielle Agrarwirtschaft und Gülletourismus insbesondere aus den Niederlanden haben in einigen Regionen zu einer starken Überdüngung geführt. Dort sind Pflanzen und Böden überlastet und können kaum noch Nitrat abbauen, was zu einer Bedrohung unserer Trinkwasserressourcen führt. Die EU-Kommission hatte erst vor wenigen Wochen in einem Bericht erneut auf die zu hohe Nitratbelastung des Grundwassers in Deutschland hingewiesen. Demnach überschritten im Durchschnitt 28 Prozent der Messstationen im Zeitraum 2012 bis 2015 den Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter Wasser. Nur auf Malta habe dieser Wert in dem Zeitraum höher gelegen: Dort sei an 71 Prozent der Messstationen der Nitrat-Grenzwert nicht eingehalten worden.

Laut Umweltbundesamt halten insgesamt 18 % des Grundwassers in Deutschland den EU-weit geltenden Schwellenwert von 50 Milligramm Nitrat je Liter nicht ein. Dem können die Wasserversorger bisher noch dadurch entgegenwirken, dass sie häufiger unbelastetes mit belastetem Rohwasser mischen oder Brunnen vertiefen oder verlagern. Wenn diese Maßnahmen aber einmal ausgereizt sind und die Nitrateinträge weiter zunehmen, müssen die Wasserversorger das Nitrat technisch aus dem Grundwasser entfernen. Hierdurch wird die Trinkwasseraufbereitung immer teurer, so dass erhebliche Mehrkosten auf die Verbraucher zukommen werden. Darüber hinaus sind auch Küstengewässer durch die landwirtschaftliche Düngepraxis bedroht. Die überschüssigen Nitrate, die von den Pflanzen nicht komplett gebunden werden können, versickern im Boden und gelangen nicht nur in das Grundwasser sondern  auch in Bäche und Flüsse und schließlich in die Meere. Laut dem Agrarwissenschaftler Friedhelm Taube von der Universität Kiel landen so Jahr für Jahr etwa eine Millionen Tonnen Stickstoff in der Ostsee. Dort regen die Nitrate das Wachstum von Mikro-Algen an. Haben diese den Sauerstoff im Wasser aufgebraucht, bleibt nichts mehr für Fische, Muscheln und Würmer. Sie sterben (vgl. SpiegelOnline vom 01.05.2015). Erst im Mai 2018 kam es im Hamburger Hafen zu einem umfangreichen Fischsterben, das auf Sauerstoffmangel im Wasser zurückzuführen war. Ein besonderes Problem stellt z.B. auch der landwirtschaftliche Nährstoffeintrag in den Dümmer See dar. Trotz der durch die Umleitung des Bornbaches erreichten Reduzierung der Nährstoffbelastung des Sees um rd. 50 % führt der Übersättigungsbereich weiterhin zu einer lang anhaltenden Planktonmassenentwicklung im See mit entsprechendem Sauerstoffentzug. Erst bei einer weiteren deutlichen Reduzierung der externen Nährstoffzufuhr kann sich die gewässerökologische Situation des Sees nachhaltig verbessern (vgl. lgln.niedersachsen.de). 

Wenn der Bauernpräsident Joachim Ruckwied dem entgegenhält, das EuGH-Urteil betreffe ja nur das alte Düngerecht aus dem Jahr 2012 und berücksichtige nicht, dass durch die Änderungen der Düngevorschriften durch die Bundesregierung im letzten Jahr eine Verbesserung der Nitratwerte nur eine Frage der Zeit sei, vermag das nicht zu überzeugen. Tatsächlich hatte die Bundesregierung zwar im vergangenen Jahr ein ganzes Paket neuer Regeln eingeführt. Zudem müssen landwirtschaftliche Betriebe seit 1. Januar 2018 Buch darüber führen, wie viel Gülle auf den Feldern landet. Sie müssen auch eine Obergrenze der Düngemenge einhalten. Laut einer aktuellen  vom  Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Auftrag gegebenen Studie werden aber diese Neuregelungen der Bundesregierung keine Besserung bringen. Sie kommt vielmehr zu dem Schluss, dass die neue Düngeverordnung zu "keiner nennenswerten Reduzierung der Stickstoff-Überdüngung führen wird. Danach wird das Ziel, den Nitrat-Gehalt im Grundwasser maßgeblich zu vermindern, verfehlt. Laut der Studie, die Forscher der Universität Kiel erstellt haben, ermöglichen die neuen Regelungen sogar, dass bei gleichen Ertragswerten mitunter mehr Dünger auf den Feldern ausgebracht wird als zuvor (Quelle: Süddeutsche Zeitung, SZ.de vom 21. Juni 2018).

Die teilweise auch von der Politik unterstützte Forderung der Landwirte nach Entlohnung für eine Reduzierung der Gülleaufbringung ist vor diesem Hintergrund nicht zu akzeptieren. Niemand hat Anspruch darauf, zum Erhalt der eigenen Existenz Vorschriften zum Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen einfach missachten zu dürfen. Wie der EuGH zu Recht festgestellt hat, haben Politik und Verwaltung diesem Treiben schon viel zu lange untätig zugeschaut. Die Versäumnisse der Vergangenheit gilt es jetzt insbesondere auch vor unserer Verantwortung für kommende Generationen nachzuholen und unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Hierbei müssen Landwirte zu ihrer Verantwortung stehen und aktiv an der Lösung der selbst verursachten Probleme mitwirken, ohne gleich nach finanziellen Hilfen zu rufen. Dann - und nur dann – wird sich das Image der Landwirte in der breiten Öffentlichkeit positiv verändern.