Hochbeet 1  Hochbeet 2

 

Eine Kritik von Walter Tauber

 

„Wissenschaftlich“ ist ein gewichtiges Wort. Es bremst, und man denkt: Lieber nicht nachfragen. Das gilt auch für „Studie“ oder „Expertenbericht“. Überhaupt „Experten“ - täglich werden die uns in irgendeinem Zusammenhang aufgetischt, von der ARD-Tagesschau über den Rundfunk bis zum heimischen Käseblatt. Und wir sollen dann denken, dass dahinter viel Arbeit steckt. Oder?

Im Grunde sollen wir gar nicht denken und einfach glauben. Wissenschaftler werden medial so vermarktet, dass sie als Hüter des wahren Glaubens dienen. Sie werden im besten Fall als Türsteher der erlaubten Meinung missbraucht oder im schlimmsten einfach gekauft, um eine bestimmte Botschaft zu verbreiten.

Selber denken ist anstrengend. Kann man, will man wirklich alles nachprüfen? Wo anfangen mit der Recherche? Schliesslich haben die Wissenschaftler für uns recherchiert. Wenn es mich nicht direkt betrifft – wie Vergleichsberichte bevor ich ein Auto oder eine Heizung kaufe – nehme ich die Meldung nur zur Kenntnis, speichere sie irgendwo ab.

Genau darum geht es auch. Denn wir werden ständig mit Meldungen beträufelt, die unsere Wahrnehmung nur wenig reizen aber wie der sprichwörtliche Tropfen auf dem Stein unser Bewusstsein, unsere Sicht auf die Welt beeinflussen.

Manchmal schockieren uns Meldungen. Am großen Weltherrscher-Treff in Davos (das sogenannte „World Economic Forum“) fordern „Experten“ ein Verbot von städtischen Selbstversorger-Gärten, weil die „klimaschädlich“ seien. Und sie liefern Zahlen: Obst sei 8,6 mal klimafreundlicher, wenn es aus konventionellem Anbau stamme und Gemüse 5,8 mal, wenn man deren Anbau „den Professionellen überlasse“. Wer hat bei solcher Genauigkeit die Fähigkeit oder die Lust, nachzurechnen?

Ob das jetzt stimmt oder nicht ist dabei gleichgültig. Die Meldung wird viele ärgern, einige amüsieren, andere vielleicht zweifeln lassen. Um dieses Körnchen Zweifel geht es letztendlich. So wirkt Propaganda.

Man hofft manchmal, dass irgendein Medium das durchleuchtet, nachprüft. Und dann sucht man im Netz. Meistens Fehlanzeige. Sicher gibt es auch Ausnahmen, die noch Journalisten sind und keine Lohnschreiber. Aber eben: Ausnahmen.

Hier die Meldung, um die es uns heute geht: https://newsaddicts.com/wef-warns-home-grown-food-causes-climate-change-demands-ban/ Auf deutsch finde ich dazu nur eine Geschichte der SZ – leider hinter einer Bezahlschranke. Ansonsten spuckt mir die Suchmaschine nur Positives über „Selbstversorger“ oder ähnliches aus.

Und hier ist die Seite der Universität von Michigan mit dem Download Link zur Studie. Selber lesen ist noch immer das Beste: https://news.umich.edu/study-finds-that-urban-agriculture-must-be-carefully-planned-to-have-climate-benefits/

Und? Was ist daran verwerflich? Eigentlich nichts. Den beteiligen Wissenschaftlern, die in Europa und den USA 73 „Urban Agriculture“ (UA – städtische Landwirtschaft) Initiativen in gemäßigten Klimazonen untersucht haben, kann man direkt nichts an ihrer Arbeit vorwerfen. Sie scheinen gewissenhaft Daten gesammelt und nach ihren Kriterien geordnet und ausgewertet zu haben.

Genau da geht’s doch los. Welche Kriterien waren ihnen wichtig? Und welche Fragen haben sie überhaupt gestellt? Denn ist nicht die Frage in der Wissenschaft ausschlaggebend für die Antwort? Diese Studie sucht sich den CO2-Ausstoß als überragendes Kriterium aus. Also, viel CO2 schlecht, wenig CO2 gut. Das ergibt einen Tunnelblick, denn die Studie ist so eng begrenzt, dass sie viele Fragen außen vor läßt.

Kann man Produkte wie Gemüse und Obst so leicht vergleichen? Die Studie erwähnt Selbstverständliches: Dass Produkte aus städtischen Gärten weniger Klimaschaden verursachen als solche, die per Luftfracht herangebracht werden hätte man auch ohne diese weitreichende Untersuchung eingesehen. Und warum sollen UA-Farmen, also kommerzielle Produzenten auf städtischem Boden, besser sein als die „community gardens“, die Gärten von Bürgerinitiativen?

Erkennt man hier eine gewisse Vorliebe für das Kommerzielle? Das ist bei einer Studie aus den USA sicher nicht ungewöhnlich. Hat „community“ nicht irgendwie etwas mit Kommunismus zu tun? Vorurteile sitzen tief in US-amerikanischen Hirnen.

Infrastruktur sei das Problem bei den Gemeinschaftsgärten, heißt es. Bei denen funktioniere ein Hochbeet vielleicht fünf Jahre. Wenn es 20 Jahre hält verursacht es, weil weniger Ressourcen verbraucht werden, auch weniger Klimaschaden. Das klingt doch alles sehr einfach. Zu einfach? Ich lese das Ding nochmal. Tatsächlich, so einfach sehen die das wirklich. Die Autoren weisen natürlich daraufhin, dass es auch positive soziale Effekte gibt. Ich denke jetzt an die „food deserts“, die Versorgungswüsten, die ich in den Armenvierteln der East Bay, gegenüber von San Francisco, gesehen habe. Hier gibt es kaum Supermärkte: die wären nicht rentabel genug, meinen Betreiber wie „Safeway“. Die Bürger sind auf kleine teuere Minimärkte angewiesen. In solchen Vierteln haben Gemeinschaftsgärten schon viel positives bewirkt.

Wir haben hier nicht den Platz – und ich keine Lust – weiter auf die rechnerischen Details der Studie einzugehen. Alles, was nicht zur Hauptthese passt – dass konventionelle Landwirtschaft besser ist als städtische Gärten – wird ignoriert oder als Vorschlag zur Verbesserung erwähnt. Natürlich seien auch weitere Studien notwendig (davon leben die lieben Leute ja).

Die Humus RevolutionSo wird behauptet, dass Verbesserungen bei der Herstellung von Kompost möglich wären. So einfach. Kein Wort über die Bedeutung von Kompost als größter möglicher CO2-Schlucker. In ihrem großartigen Buch „Die Humusrevolution“ erklären Ute Scheub und Stefan Schwarzer wie die „regenerative Agrikultur“, d.h jene, die Humus produziert und Kohlenstoff bindet, Welt und Klima retten kann (oekom Verlag, 2017).

Die engen und engstirnigen Studien aus der akademischen Welt forschen allzu oft am Thema vorbei. Und sie werden immer öfter von Konzernen finanziert. In diesem Fall war das nicht ersichtlich. Öffentliche Institutionen aus England, Deutschland, Frankreich, Polen und der EU haben die fünf Universitäten unterstützt, die das Projekt getragen haben. Wie viel diese Universitäten ihrerseits und woher erhalten haben ist unklar.

Völlig ignoriert wird in dieser Studie die massive Nutzung von Maschinen, Kunstdünger und Pestizide in der kommerziellen Landwirtschaft. Simple Vergleiche sind schlicht nicht zu machen. Aber darum geht es auch nicht. Die Botschaft ist: „Städtischer Gartenbau ist Klimaschädlicher als kommerzielle Landwirtschaft.“ Nur darum geht es. Das ist die Schlagzeile, die hängen bleibt.

 

Anmerkungen:Gekaufte Forschung

  • Bitte lest das Buch „Die Humusrevolution“. Da wird sofort klar, was für einen teuren Unsinn die fünf Universitäten hier finanziert haben.
  • Und wer sich für den steigenden Einfluss der Konzerne auf die Forschung interessiert, wird hier fündig: Christian Kreiß, Gekaufte Forschung, Europa Verlag, 2015
  • Im Sinne der Transparenz: ich habe hier ein bestimmtes „Wording“ benutzt und das WEF als „Weltherrscher-Treff“ bezeichnet. Ja, ich will damit gezielt ein Bild vermitteln.