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Eine Buchempfehlung als Aufruf

von Walter Tauber

Ein Eisbär guckt vom Rande seiner Eisscholle ins Meer, seine letzte? Orkane walzen Elendsviertel nieder und verschütten hunderte Menschen im Schlamm. Das Meer zermalmt Küsten, Inseln saufen ab und Wälder verkohlen. Dürren, Fluten, Hungersnöte und Seuchen: Kann ich mich da anders als hilflos fühlen? Ich trenne meinen Müll, vermeide Plastik, fahre Rad. Angesichts der Gewalt, die mir gegenübersteht, fühle ich mich dabei lächerlich.

Denn mir stellen sich gigantische Kräfte entgegen. Sie sind aber abstrakt, nur in Fernsehbildern erfassbar. Was ist nun mit den Wissenschaftlern, die alles erklären, mir näher bringen können? Klimaforscher sind sich einig, dass die Katastrophe bevorsteht. Und sie wissen, was wir dagegen tun könnten. Greta hat uns daran erinnert. Und die Politik tut so, als hätte sie verstanden. Ja aber, bremsen viele, es soll Gegenstimmen geben. Und sind wir nicht so erzogen worden, dass wir auch der anderen Seite Gehör schenken? Dass diese andere Seite aber aus schamlosen Lügnern bestehen kann, vergessen wir oft. Und so gelingt es dieser dreisten anderen Seite, meine Wahrnehmung von der sichtbaren Katastrophe ins Abstrakte zu verschieben. Empörung wird diffus: Schuld sind uneinige Forscher, die Medien oder die Politik. Vielleicht sogar “das System” insgesamt? Wie soll ich da – im Diskurs gezielt verkleinert zum “Normalbürger” - noch mitreden können? Sollte ich Zweifel an den Fakten haben? Es ist alles so komplex.

Hier, auf Seite 154, erfahre ich, dass Komplexität gewollt ist. Sie soll uns verwirren. Uns unsicher machen, damit wir auf keinen Fall handeln. Ich habe, für mich jedenfalls, das Buch des Jahres gefunden. Und den Begriff des Jahrzehnts: Klimaschmutz. Es geht gar nicht um abstrakte Kräfte. Es geht um Täter. Einerseits um die Verursacher des Klimawandels. Aber vor allem auch um jene Täter, die uns daran hindern, angesichts des Untergangs zu handeln. Es gibt Täter, Menschen mit Namen und Vornamen und vor allem mit Amt und Beruf, die alles daran setzen, die Fahrt in den Abgrund zu beschleunigen, weil sie davon profitieren. So der Klappentext: “Dieses Buch zeigt erstmals, wie Klimaschutz-Gegner seit Jahrzehnten den dringend nötigen Systemwechsel in Europa und den USA verhindern.”

 

KlimaschmutzlobbySusanne Götze und Annika Joeres

Die Klima-Schmutz Lobby

Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen

Piper Verlag, 2020, 20 €, ISBN 978-3-492-07027-0

 

Vor mir liegt ein Handbuch. Ein Werk, in dem ich immer wieder nachschauen kann, welche Täter wofür verantwortlich sind. Ich habe es vollgekritzelt mit Unterstreichungen, Ausrufezeichen, Hinweisen. Denn dieses Buch müssen wir nicht nur lesen, mit diesem Buch müssen wir arbeiten. Um damit gezielt gegen die Täter vorzugehen.

Meine Reaktion ist emotional, mag sein. Die Skrupellosigkeit der Täter läßt Wut aufkochen. Dabei ist das Buch der beiden Autorinnen sachlich und kühl. Akribisch genau folgen sie den Spuren der Umwelt-Frevler, erklären die Zusammenhänge im Detail und untermauern alles mit über 50 Seiten Fußnoten mit Quellenangaben. Sollte ich aus diesem Werk zitieren, etwa über die Öko-Untaten eines Multis wie Bayer-Monsanto, dann kann ich mich sicher fühlen vor Klagen. Die Recherche sitzt. Susanne Götze und Annika Joeres haben die übelriechende Spur von schmutzigem Geld zu schmutziger Politik offengelegt. Sie beweisen, dass man honorigen Männern (meistens sind es grauhaarige Männer) die neben einem politischen Amt ein wenig oder viel dazuverdienen, den Ehrentitel “honorig” radikal absprechen muss. Es gibt nichts ehrenhaftes daran, Lobbyist für Klimaschmutz zu sein. Kriminell wird es, sich im Amt von Klimaschmutz-Lobbyisten leiten zu lassen. Denn es geht um das Überleben unseres Planeten.

Die Autorinnen steigen mit einer Anekdote ein: Schon 2007 hatte Kanzlerin Merkel “mit ihrem damaligen Umweltminister Siegmar Gabriel in roten Anoraks auf dem Grönlandeis gestanden und strengeren Klimaschutz angemahnt” (S.12). Geschehen ist nichts. Daher die Absichtserklärung dieses Buches: “Die Schlüsselfiguren der Klimaschmutzlobby müssen endlich benannt, ihre Netzwerke offengelegt und ihre Motivation kritisch hinterfragt werden.” (S. 15).

Dieses Ziel haben Susanne Götze und Annika Joeres in brillanter Weise erreicht.

Sie fangen an mit einer Begriffsklärung. Nicht alle Täter sind gleich. Es gibt wenige echte Leugner des Klimawandels – wer mag sich offen als Ignorant darstellen? Aber es werden mehr dank der großzügigen Spenden von US-amerikanischen Instituten, die von der fossilen Energiewirtschaft finanziert werden. Heartland Institute in den USA, zum Beispiel, und ihr deutscher Zögling EIKE. Aus deren Topf von Halbwahrheiten bedienen sich die Rechtspopulisten, die glauben, so “das Volk” aufwiegeln zu können. Auch Liberale greifen zu dieser Strategie (bemerkenswert hier in Stade der Widerstand der FDP gegen die Windkraft – wt). Am schlimmsten sind die Bremser, die ihre Positionen in Politik und Wirtschaft dazu nutzen, jeden Ansatz zu ernsthaftem Klimaschutz zu sabotieren. Sie bezweifeln die Wissenschaft nicht, geben sich nicht die Blöße, offen zu den Leugnern zu stehen. Aber sie sabotieren die Energiewende, wo immer sie können aus Angst vor wirtschaftlichem Verlust. “Dass es seit 30 Jahren nicht wirklich vorangeht im Klimaschutz,” schreiben die Autorinnen, “ist also kein Zufall, sondern eine Strategie von Profiteuren des alten Systems.” (S. 39)

Im ersten Teil des Buches geht es um die unterschätze Gefahr, die von Klimawandel-Skeptikern und Bremsern ausgeht (s. 27 bis 118). Immer wieder schüren die Angst vor angeblich zu hohen Kosten oder phantasieren von technischen Lösungen, die uns in ferner Zukunft alle retten werden. So etwa Katja Suder (FDP), die damit bei Markus Lanz klar gegen die 17 jährige Schülerin Julia Oepen (Fridays for Future) unterlag (Video). Sogar eine drohende Übermacht des Staates beschwören die Steinzeit-Kräfte herauf, die nicht unsere Demokratie sondern ihre Bilanzen im Auge haben. Und unermüdlich warnen sie vor dem Verlust von Arbeitsplätzen. Dabei kann jeder Grundschüler vorrechnen, dass 80'000 verlorene Stellen in der Solarenergie mehr sind als 20'000 bedrohte Plätze in der Braunkohle. Aber es geht Leugnern und Bremsern nicht um Fakten, sie wollen nur aufwiegeln. Dies ist Propaganda pur (bei Joseph Goebbels nachzulesen, zitiert: WikiStade-Artikel.

Leider ist diese Propaganda wirksam. “Hier baut sich eine Front gegen das gesamte Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Energiewende und schlussendlich auch gegen den Klimaschutz auf,” warnt das Buch Die Klimaschmutz Lobby (S. 43). Und das hat, weitab von Wissenschaft oder simpler Vernunft, ausschließlich mit politischem Opportunismus zu tun. 44 Prozent der Gegner der Energiewende wählen laut Umfragern AfD (S. 44).

Ausführlich beschreiben die Autorinnen, wie sich rechtspopulistische Politik in Deutschland und anderswo auswirkt und was die Männer (denn meist sind es Männer), die sich hier lautstark einreihen, bewegt. Dass dieser Lärm von rechts nicht von alleine kommt ist klar. Ausführlich schlüsselt das Buch (S. 63 bis 77) auf, woher das Geld kommt, wer die neoliberalen Thinktanks und Institute hier und in den USA finanziert. 

Spezielle Aufmerksamkeit verdient die Agrarlobby (S. 78 bis 98). Hier werden gewaltige Summen investiert oder, je nach Gesichtspunkt, verschleudert. “58 Milliarden Euro Agrarsubventionen werden jährlich in den Ländern der Europäischen Union verteilt”. Das sollte uns alle interessieren, letztendlich sind das unsere Steuerabgaben. Sechs Milliarden aus diesem Topf gehen nach Deutschland. Wie das Geld verteilt wird bestimmt, wie Landwirtschaft, Agrarproduktion und auch Landschaft aussehen.

Doch auch hier geht es vor allem um den Profit. Susanne Götze und Annika Joeres: ..” auch nach 2020 wird Klimaschutz für das größte Budget der EU nur eine Nebenrolle spielen.” Und: “...etwa 73 Prozent der EU Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik GAP (etwa 40 Milliarden Euro jährlich)” werden “mittels sogenannter flächengebundener Direktzahlungen (DZ) direkt an Großgrundbesitzer durchgereicht.” (S. 80).

Ministerin Julia Klöckner interessiert das nicht. Nachhaltige Landwirtschaft verspottet sie als “Rückkehr nach Bullerbü”. Und so ist das Fazit dieses Buches klar: “Die Lobby der konventionellen Landwirte ist einer der erfolgreichsten überhaupt” (S. 82). Die meisten Bauern werden im heutigen System übers Ohr gehauen. Sie werden gezwungen, immer mehr zu investieren, immer härter zu arbeiten. Viele stehen erdrückt von Schulden am Rande des Abgrunds. “Der Profit geht zu den Konzernen, die die technischen Mittel liefern: Traktoren, Düngemittel und Viehfutter” (S. 81). Der Landwirt verkommt dabei zu einem Trichter, durch den Subventionen hindurch gepresst werden direkt in die gierigen Hände der Industrie.

So fällt ein für den Klimaschutz bedeutender Bereich einfach weg. “Laut dem Bundesumweltamt ist die Landwirtschaft für rund ein Viertel aller Treibhausgase verantwortlich” (S. 82). Andere Schätzungen liegen weit höher, zu lesen etwa bei Jonathan Safran Foer, Wir sind das Klima. Die Profiteure des Systems verhindern jegliche Reform, obwohl seit Jahren darüber gesprochen wird. “Denn in den an Bauern besonders reichen CDU/CSU-Fraktionen sitzen vornehmlich Landwirte mit Hunderten von Hektar Land oder Hunderten von Tieren..... Von den Mitgliedern im Agrarausschuss des Bundestages der CDU/CSU-Fraktion haben 85 Prozent einen direkten Bezug zur Land- und Agrarwirtschaft, also zu Düngerhestellern oder Fleischproduzenten” (so Götze und Joeres, S. 84).

Die Klimaschmutz Lobby zeigt im Detail auf, wer zur Agrarlobby gehört, wie diese funktioniert und jegliche Alternative unterwandert oder verhindert. Sogar Schulen verseucht die Lobby mit kostenlosen Unterrichtsmaterialien (S. 97).

Im zweiten Teil des Buches (S. 119 bis 238) beschreiben die Autorinnen, wie die Klimaschmutzlobby im Detail arbeitet. “Die von der Öffentlichkeit wenig beachteten Beamten der Kommission – immerhin 32 000 Menschen – sind es, die von Lobbyisten am meisten bearbeitet werden. Sie können Gesetzesvorlagen frühzeitig durchstechen oder darüber entscheiden, wie Gesetze formuliert werden..”, so der französische Soziologe Sylvain Laurens (S. 122). Mitglieder des Europa-Parlaments profitieren von den sogenannten “Drehtüren” - ihnen stehen einträgliche Posten in der Industrie offen, wenn sie die richtigen Kontakte gepflegt haben.

An zwei Beispielen erkennen wir, wie erfolgreich Lobbyarbeit sein kann: Luftfahrt und Kohle (S. 126 bis 135) . Noch immer ist Kerosin steuerfrei, ohne ersichtlichen Grund. Und trotz aller Proteste und aller Versprechen, hängt Deutschland an der Kohle als hätte man das Wort Ausstieg einfach durch Einstieg ersetzt. Das kürzlich durch die Koalition verabschiedete Gesetz, das den Kohleausstieg verspricht, hat in perverser Manier die Arbeit der Kohlekommission umgekehrt. Noch jahrelang können Konzerne wie RWE Gelder einstreichen, um ganz langsam ihre alten Kohlemeiler auslaufen zu lassen (dazu Monitor, Ankündigung 1'58”

und ganzer Beitrag 9'52” 

Götze und Joeres zeigen aber, dass diese Entscheidung eine logische Folge der Politik ist, die die Energiewende fast von Anfang an systematisch sabotiert hat. Der große Aufbruch kam 1998 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz der rot-grünen Regierung. “Innerhalb eines Jahrzehnts verdreifachte sich der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch von 6 auf knapp 18 Prozent” (S. 149) Trotzdem gelang es der Klimaschmutzlobby diese weltweit als vorbildhaft gepriesene Entwicklung zu stoppen. Gesprächspartner der Autorinnen “verorten den Anfang vom Ende einer erfolgreichen Klimaschutzpolitik in Deutschland mit dem Amtsantritt von Siegmar Gabriel als Bundesumweltminister im Jahr 2005” (s. 151)

Minutiös verfolgen die Autorinnen nun die Strategie der Klimaschutz-Bremser in Parlament und Behörden (s. 154). Gesetze kompliziert machen, Studien kleinhalten und gute Kontakte zu den Lobbyisten pflegen gehören zu den analysierten Methoden. Wie die Kohlelobby mit Publizisten und angeblichen Wissenschaftlern umgeht erfahren wir hier, ebenso wie sie Gewerkschaften auf ihre Seite ziehen. Während Privathaushalte die Kosten der Energiewende tragen mussten, wurden immer mehr Industrien von Abgaben befreit. Nicht nur das: die Bundesrepublik subventioniert fossile Energieträger wie Diesel und Kerosin jedes Jahr mit 57 Milliarden Euro (S. 161).

Kurz und bündig erklärt Die Klimaschmutz Lobby (auf Seiten 162 bis 164) wie der Aufschwung der Erneuerbaren Energien gestoppt wurde. Über die nächsten rund 80 Seiten erfahren wir, wie die Klimaschmutzlobby genau funktioniert, in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und in Osteuropa. 

Ein deprimierendes Bild. Der Ausblick ins 21. Jahrhundert der Autorinnen (S. 230 bis 238) fasst die unglaubliche Macht der schmutzigen Lobby noch einmal zusammen. Aber es gibt eine optimistische Note: “Denn die heutigen Verschmutzer sind die Gewinner von gestern”. Die Weltsicht der Männer von gestern kommen bei immer weniger Bürgern an. Wir müssen “dem Narrativ der Lobbyisten eine mächtige faktenbasierte Erwiderung entgegensetzen,” fordern Susanne Götze und Annika Joeres: “Wie wir in einer klimafreundlichen Welt besser leben können.” Und sie schließen ihr Plädoyer mit fünf beispielhaften Maßnahmen aus einem Dutzend Ländern, die man auch hier umsetzen könnte und sollte. Das Ziel, vom Bestehenden abzurücken, ist weder so komplex noch so unerreichbar, wie es die alten Herren der fossilen Energiewirtschaft predigen.

Dieses Buch ist ein Handbuch. Die genaue politische Analyse der Klimaschmutz Lobby gibt uns in vielen Bereichen die Anhaltspunkte, um dagegen an zu kämpfen. Lasst uns also das Buch zur Hand nehmen! Wie schon gesagt, für mich ist dies das Buch des Jahres.